
Ob im Weltall, wo Astronauten unter Schwerelosigkeit, Enge und enormem Druck leben, oder in der Antarktis, wo Forscherinnen und Forscher monatelang isoliert arbeiten – wer über längere Zeit extremen Bedingungen ausgesetzt ist, stößt an körperliche und psychische Grenzen. Im Frühjahr kam es beispielsweise auf einer abgelegenen Forschungsstation in der Antarktis offenbar zu einem extremen Fall von Lagerkoller, als ein Wissenschaftler andere sogar mit dem Tode bedroht haben soll. „Eine kontinuierliche Überwachung von Veränderungen der Gehirnaktivität hätte eventuell helfen können, eine mentale Krise früh zu erkennen und gegenzusteuern“, erklärt Prof. Patrique Fiedler, Leiter des Fachgebiets Datenanalyse in den Lebenswissenschaften der TU Ilmenau.
Auch in der Raumfahrt, so bestätigen Untersuchungen, können sich lange Aufenthalte im All in der Isolation und auf engstem Raum auf die Psyche der Astronauten und Astronautinnen und damit auf ihre Gehirnfunktion auswirken. Die TU Ilmenau erforscht diese Veränderungen gemeinsam mit Partnern der Université libre de Bruxelles, dem McGovern Medical School Houston, der Complutense Universidad Madrid, der Universität Duisburg-Essen und der eemagine Medical Imaging Solutions GmbH. Ziel ist ein kontinuierliches Monitoring der Gehirnaktivität der Astronauten, um solche Belastungen künftig zu erkennen und frühzeitig Gegenmaßnahmen einleiten zu können.
Messungen der Gehirnaktivität im All – eine große Herausforderung
Das Team um den Ilmenauer Wissenschaftler Prof. Patrique Fiedler will eine besonders robuste, benutzerfreundliche Technologie entwickeln, die auch in Extremsituationen im All zuverlässig arbeitet. Denn die Bedingungen, denen Mensch und Technik auf Weltraummissionen ausgesetzt sind, sind besonders hart. Prototypen von EEG-Hauben, die die menschliche Gehirnfunktion messen, wurden bereits von der Universität Duisburg-Essen in Parabelflügen zur Simulation von Schwerelosigkeit, die das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt durchführte, getestet. Ähnliche, von der US-Weltraumagentur NASA geförderte Studien, führten auch die Complutense Universidad in Spanien und die McGovern Medical School in Houston/Texas durch. Prof. Fiedler ist zuversichtlich, ein zuverlässiges neues System für den Einsatz im Weltall entwickeln zu können: „Diese Studien zeigen, wie anspruchsvoll stabile Messungen im Weltall im Gegensatz zu einer Umgebung auf der Erde sind. Dennoch waren sie für unsere Forschung sehr vielversprechend.“
Intelligenter All…tagsbegleiter
Das Forschungsteam um Prof. Patrique Fiedler will ein ultraleichtes, komfortables System entwickeln, etwa ein Headset, das in Sekunden einsatzbereit ist und zuverlässig kontinuierlich hochwertige EEG-Daten aufzeichnet. Eingebaute Künstliche Intelligenz in Form von Signalanalyse erkennt automatisch mentale Zustände der Person und überwacht und optimiert laufend selbstständig die Signalqualität. Bei ihrer prämierten Innovation knüpfen die Forschungspartner an ein EEG-System mit Trockenelektroden an, das an der TU Ilmenau entwickelt wurde. Es kommt ohne die aufwändige Vorbereitung klassischer Elektroden aus und wird bereits in zahlreichen medizinischen Einrichtungen in Deutschland eingesetzt.
In Kombination mit Neurofeedback, einem computergestützten Gehirntraining, könnte das neue System künftig helfen, Leistungseinbußen der Menschen auf Weltallmissionen zu vermeiden und ihre geistige Erholung sogar schon vor Ort im All zu ermöglichen. „Unser Ziel ist es, mentale Belastungen sichtbar zu machen und Menschen zu helfen, besser mit Stress und Extremsituationen umzugehen – übrigens auch auf der Erde“, so Fiedler.
Doppelter Nutzen – im All und im Alltag
Denn was für die Raumfahrt entwickelt wird, hat auch großes Potenzial für den Alltag: „Die Überwachung der Gehirngesundheit ist ein Schlüsselthema – nicht nur für Langzeitmissionen im All, sondern auch für unsere Gesellschaft insgesamt“, sagt Fiedler: von der Emotionserkennung über das Monitoring der Gesundheit des Gehirns bis zur Unterstützung bei psychischen Erkrankungen. „Gerade in Zeiten, in denen Burnout und Depressionen deutlich zunehmen, können verlässliche Instrumente, die die mentale Gesundheit kontinuierlich überwachen, eine große Hilfe sein.“
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