Entkriminalisierung: Ja. Konsum ohne Regeln: Nein.

In einigen US-Bundesstaaten ist Cannabis schon jetzt frei verfügbar. Im Januar wurde bei uns eine Gesetzesnovelle zur medizinischen Verwendung verabschiedet. Gibt es Cannabis in Deutschland bald für jedermann? Welche volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen hätte dies? Das Wirtschaftsforum 2017 stieß mit diesen hochaktuellen Fragen auf großes Interesse: Die Aula der Hochschule Reutlingen war gestern Abend bis auf den letzten Platz belegt. Die öffentliche Diskussion vermittelte eine Fülle an Informationen und Perspektiven. Schnell zeichnete sich auf dem Podium ab: eine einfache „Ja" oder „Nein" Entscheidung reicht in der Legalisierungsfrage nicht aus.

„Der Markt existiert doch schon längst. Sich Cannabis zu beschaffen ist einfach", stellte Prof. Dr. Justus Haucap, Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics fest und beklagte: Schwarzmarkt-Cannabis entzöge sich nicht nur jeder Qualitätskontrolle und sei daher oft mit giftigen Substanzen gestreckt, Dealer kümmerten sich zudem auch wenig um den Jugendschutz. Der Ökonom warf gleich zu Beginn die Frage auf, ob eine staatlich regulierte Freigabe nicht sinnvoller sei als ein striktes Verbot. Bei der Diskussion um Steuereinnahmen, die der Staat in diesem Fall durch den Verkauf von Cannabis erzielen würde, wurde erwähnt, dass Prognosen hierzu von Seiten der Bundesregierung wohl derzeit nicht aufgestellt werden.

„Man kann eine Norm nicht kritisieren, nur, weil sie nicht eingehalten wird!" protestierte Dr. Helmut Wlasak, der als Strafrichter in Graz viele Drogendelikte verhandelt. Nicht jeder besäße genug Eigenverantwortung, um mit frei zugänglichem Cannabis umzugehen, warnte er.

Auch Dr. Tim Pfeiffer-Gerschel, Leiter der europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in Deutschland, sprach sich gegen eine Verharmlosung aus. Gerade bei Teenagern könne die Droge möglicherweise psychische Schäden bis hin zu Psychosen verursachen. Pfeiffer-Gerschel gab aber auch zu bedenken: Trotz Verbot hätten ungefähr 50 Prozent aller Jugendlichen schon mal Erfahrung mit Cannabis gemacht – auch wenn es meist beim Ausprobieren bliebe. Auch die Gruppe der Cannabis-Abhängigen erreiche man mit dem Betäubungsmittelgesetz nicht. Hilfs- und Präventionsangebote seien da wirkungsvoller.

Georg Wurth, Vorsitzender des deutschen Hanfverbandes, vertrat die Meinung: „Eine Prohibitionspolitik bringt nichts." Im Gegenteil: Für Gelegenheitskonsumenten bestünde deswegen die Gefahr, gesellschaftlich abzurutschen, weil sie unnötig kriminalisiert würden, nicht aufgrund des Konsums selber. Der Rechtsanwalt und Medweed-Unternehmensgründer Jürgen Scholz ging noch einen Schritt weiter: Die Kriminalisierung des Besitzes von Cannabis verstoße gegen das im Grundgesetz verankerte Recht auf freie Selbstentfaltung. Schließlich schade man sich mit dem Konsum nur selber, und nicht Anderen. Wer sich zwei Flaschen Wodka „runterschütte" werde ja auch nicht dafür bestraft.

Auf dem Podium herrschte weitestgehend Konsens, dass Verbote alleine das Drogenproblem nicht lösen. Aber: eine Entkriminalisierung der Konsumenten sei auch nicht gleichzusetzen mit einem völlig deregulierten Markt. Wie also könnte ein zeitgemäßer Umgang mit Cannabis aussehen? Ein Mindestalter für die Abgabe wurde ebenso diskutiert wie Lizenzen für Cannabis-Verkäufer. Der Blick wanderte auch ins Nachbarland Niederlande und in die USA: Was muss man aus der dortigen Drogenpolitik lernen?

Das Publikum beteiligte sich lebhaft an der Diskussion. Viele Fragen wurden an die Experten gerichtet. Eine Podiumsdiskussion kann natürlich nicht alle Fragen abschließend klären. Doch das Fazit von Moderatorin Dr. Andrea Despot, Vize-Direktorin der European Academy Berlin, fiel am Ende des Abends positiv aus: „Wir haben Grenzen ausgeleuchtet, aber auch Leerstellen gefunden, die noch ausdiskutiert werden müssen." So waren auch die studentischen Macher des Wirtschaftsforums zufrieden: Sie haben es geschafft, zu einem Thema, das allzu oft nur emotional diskutiert wird, eine sachlich- fundierte, differenzierte Debatte auf die Beine zu stellen.

Über das Wirtschaftsforum

Das Wirtschaftsforum der ESB Business School ist eine öffentliche Podiumsdiskussion zu aktuellen Themen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Es wurde im Herbst 1996 von Studierenden gegründet und findet seitdem einmal jährlich statt. Das Wirtschaftsforum 2017 unter dem Titel „Geld, Gesundheit, Gewissen: Ist die Legalisierung von Cannabis überfällig?" fand am Dienstag, 4. April statt und wurde organsiert von Sophie Nehrer, Simon Seeber, Tobias Röck, Sophie Scharrer, Tim Kreuziger und Daniel Günther. Alle studieren im Double Degree Programm International Management an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen. Die Veranstaltung war Bestandteil des Studium Generale der Reutlinger Hochschulen.

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